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Nachbarschaftsstreit in höchster Vollendung

Es ist Montag und Richter Siegfried Salomon hat sich über den nachfolgenden Fall, den er gleich zu Beginn der Woche verhandelte, viele Gedanken gemacht:

Wie kann es wohl sein, dass über Jahre Nachbarn so streiten, uneinsichtig sind und ohne jedwede Hemmschwelle miteinander umgehen? Niemand möchte so leben und wohnen. Warum tun sich die Beteiligten in diesem Verfahren so etwas an? Erwachsene Menschen!?

Die Antworten findet der Richter womöglich in der mündlichen Verhandlung.


Was war geschehen?

Seit über zehn Jahren kennen sich Sven Stinktier und Ernst Elster. Sie bewohnen jeder in unmittelbarer Nachbarschaft ein eigenes Haus, das nur über eine schmale Hofeinfahrt einen einzigen Zugang zu dem jeweiligen Anwesen hat. Und über den Zugang zum jeweiligen Grundstück stritt man sich ständig und heftig.


Der Streit, der sich seit Beginn der Nachbarschaft zunehmend hochschaukelte, endete im September 2020 in einer wahren Eskalation. Beschimpft und beleidigt hatten sich die beiden in der Vergangenheit wiederholt und auch mit vielen Ausdrücken und Gesten teilweise aus dem Tierreich gegenseitig attackiert. Nun aber kam es nicht nur zu einer verbalen Auseinandersetzung, sondern sogar zu körperlicher Gewalt, die von beiden Seiten ausgeübt wurde. Man teilte nicht nur Faustschläge, sondern auch Fußtritte miteinander. Ein blaues Auge und diverse Hämatome an Beinen und den Oberkörpern waren die Folge. Hier musste schnell Abhilfe geschaffen werden, drohte doch sonst noch viel schlimmeres Unheil.


Nun waren beide Streithähne natürlich auch anwaltlich vertreten und stellten jeweils beim Amtsgericht wechselseitig Anträge in Form von Näherungs- und Kontaktverboten. Diese sind nach dem Gewaltschutzgesetz, welches zum Beispiel auch Stalkern Paroli bieten soll, möglich und üblich. Richter Salomon hatte in einem Eilverfahren über die Anträge zu entscheiden. In seiner ruhigen und sachlichen Art hörte er die beiden Beteiligten an, die er wiederholt zur Ruhe und zum Zuhören auf den Vortrag des anderen ermahnen musste. Die Stimmung im Gerichtssaal war bis auf die letzten Haarspitzen angespannt.


Herr Stinktier warf Herrn Elster vor, mit den körperlichen Attacken begonnen zu haben. Er selber habe sich nur verteidigen wollen. Herr Elster wiederum konterte, dass es doch Herr Stinktier gewesen sei, der zuerst mit seiner Faust in das Gesicht von Herrn Elster traf und ihm dabei ein sogenanntes Veilchen versetzte. Darauf habe er sich dann nur verteidigen wollen. Schnell war dem Richter klar, dass sich beide Streithähne dazu entschlossen hatten, die körperlichen Auseinandersetzungen nicht nur zur Verteidigungszwecken zu betreiben. Also von Notwehr, wie sie jeweils gegenseitig vorbrachten, konnte keine Rede sein.


Erstaunlich war nicht nur für den Richter Salomon, sondern auch für den unbefangenen Beobachter, dass beide Seiten keine Zeugen zum Termin mitbrachten. In den jeweiligen Vorträgen hatten sowohl Herr Stinktier als auch Herr Elster angeben lassen, dass weitere Nachbarn den Streit beobachtet hätten und als Zeugen zur Verfügung stünden. Diese Zeugen waren aber nicht vor dem Gerichtssaal erschienen. Wollten sie nicht vielleicht vermeiden, in den Streit noch mit hineingezogen zu werden oder hatten sie vielleicht auch gar nichts beobachtet? Man wird es nicht mehr feststellen können.


Der Richter stand nun vor der Überlegung, wie er über die beiden gestellten Gewaltenschutzanträge urteilen sollte. Da Richter Salomon davon überzeugt war, dass sich beide Beteiligten „nichts geschenkt“ hatten, urteilte er, dass jeder der Beteiligten für den Zeitraum von sechs Monaten zunächst nicht dem anderen nähern und keinerlei Kontakt zu ihm aufnehmen darf. Wenn dieses Verbot missachtet wird, drohte er jedem der Beteiligten ein Zwangsgeld von bis zu 50.000,00 € an, oder, wenn dieses dann nicht bezahlt wird, vier Monate Zwangshaft. Sowohl Herr Stinktier als auch Herr Elster gingen mit ihren Anwälten und gesenkten Köpfen aus dem Saal. Das hätten sie nicht erwartet.


Richter Salomon hingegen hofft, dass mit dieser Entscheidung für beide Streithähne ausreichend Zeit geschaffen ist, einmal über das eigene ungehörige Verhalten zum Nachbarn nachzudenken. Vielleicht hilft es, eine friedliche Koexistenz zu schaffen.


Nachzulesen ist das salomonische Urteil im Beschluss des Oberlandesgerichtes Zweibrücken vom 20.4.2021 zu Az.: 6 UF 16/21

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